atelierbesuch

von ulrich rüdenauer

über allem schwebt ein körbchen, aus dem gespitzte bleistifte in diversen stärken ragen. sie weisen, wie die stacheln eines igels, in verschiedenste richtungen – dem künstler michael blümel ersetzt diese kleine bleistiftskulptur den kronleuchter. auf einem der beiden tische in seinem atelier stehen farbtuben und liegen pinsel in allen größen; auf dem schreibtisch macht ein notebook arbeitsam leise ratternde geräusche. die wände sind mit buchregalen tapeziert, und die regale wiederum werden teils von leinwänden unterschiedlichen formats verdeckt: überall bilder, fertige und in allen möglichen stadien der vollendung befindliche werke. an seiner staffelei ist ein fröhliches kommen und gehen: bis zu 15 aufwändige acrylbilder entstehen parallel. und da ist die rede noch nicht von zeichnungen oder linolschnitten, die „nebenbei" das werkverzeichnis wachsen lassen. oder gar von den leichthändig hingeworfenen skizzen im arbeitsbuch, das blümel ständig bei sich trägt. wenn er im café sitzt, am späten morgen nach dem ersten kreativitätsschub, verwendet er manchmal den satz eines latte macchiato als farbe und lässt so in seiner kladde ganz eigentümliche, immer wieder neue, in zerfließenden brauntönen gehaltene snapshots seiner umwelt entstehen. um all seine arbeiten der letzten 20 jahre angemessen aufzubewahren, bräuchte michael blümel eigentlich ein riesiges loft.

im atelier
im atelier

einige dieser – grob geschätzt – 40.000 gemälde und grafiken müssen allerdings nicht im kleinen bad mergentheimer atelier des Künstlers untergebracht werden. „blümels" sind in etlichen sammlungen vertreten, in der des kunstbegeisterten schraubenfabrikanten würth etwa, des deutschordensmuseums oder der kunststiftung der sparkasse frankfurt am main. auch in ausstellungen sind seine werke zu sehen, und zwar auf der halben welt: demnächst werden zeichnungen zum irischen dichter james joyce von der joyce-gesellschaft in dublin ausgestellt; illustrationen zu kafka sind gerade in düsseldorf und bonn zu bewundern; und im nächsten Jahr soll es eine große einzelausstellung in bad mergentheim geben. die stadt täte gut daran, dieses vorhaben tatsächlich umzusetzen – wer weiß, ob sie sich eine solche schau in ein paar jahren noch so einfach wird leisten können.

bad mergentheim würde damit auch einen sohn der stadt präsentieren.

während der arbeit
während der arbeit

seine kunst hingegen ist alles andere als provinziell. sie strahlt geradezu etwas unruhiges, bewegliches, flackerndes aus. besonders die zuletzt entstandenen, großformatigen serien feiern die komplexität der wahrnehmung, die so wunderbar der gefahr des idyllischen entgehen: „motive mit bildstörungen" nennt blümel jene arbeiten, deren realistische ausgangspunkte durch verschiedene irritationsmomente aus der balance geraten. durch bewusst gesetzte unschärfen nimmt die schärfe des gegenstands zu: „zwei vergessene russische wähler mit bildstörung" heißt eines dieser bilder, das mit den störungsstreifen zugleich die anfälligkeit politischer systeme als kritisches denkmotiv einbaut. „dummys" – also versuchspuppen – bildet blümel ab: dummys stehen als dummgemachte wählerpuppen den „politmodos" gegenüber, politiker-monstern, die zynisch mit den ängsten des volks spielen. sich nicht dumm machen zu lassen von den verhältnissen ließe sich, frei nach adorno, blümels verständnis als künstler formulieren. irritieren und sich irritieren lassen, das sind die leitmotive des politischen seitenstrangs im werk des malers. „der betrachter soll sich zeit nehmen und etwas suchen. erst dann entsteht der eigentliche realismus." suchen muss man nicht nur zwischen den zeilen, zwischen den bildstörungsstreifen, sondern auch unter einer dicken struktur und sich überlagernden bildmotiven, die entschlüsselt sein wollen.

neben dieser explizit als politisch verstandenen kunst sind es schriftsteller, die blümel faszinieren und immer wieder zeichnerisch zu einem „weiterschreiben" von deren werken anregen: peter handke, thomas bernhard, samuel beckett, ernst jünger oder josé saramago – eigensinnige, am ich zweifelnde oder auch zwiespältige gestalten des literarischen lebens tauchen sowohl in der expressiv-realistischen malerei als auch im grafischen werk auf. letzteres hat etwas geradezu schwebendes: leichte, geschichten in bewegung verwandelnde striche. eine sehr impulsive formensprache zeichnet den künstler aus. schön kann man diesen stil im prozess seines entstehens während seiner öffentlichen auftritte beobachten. bei diesen live-illustrationen wird auch deutlich, was blümel als eine der grundvoraussetzungen seines schaffens begreift: dass man eben zu einem großen teil „nicht bewusst" arbeitet, sondern die dinge geschehen lassen muss.

michael blümel wurde 1967 in bad mergentheim geboren, hat kunstgeschichte, philosophie, malerei, bildhauerei und visuelle kommunikation studiert. er arbeitet für diverse verlage als buchillustrator. seine werke wurden in einzel- und gruppenausstellungen gezeigt und sind in vielen privaten und öffentlichen sammlungen vertreten. blümel wurde mehrfach für seine arbeiten ausgezeichnet, zuletzt erhielt er das kleist-stipendium des künstlerhauses der stadt frankfurt/oder und des kleist museums zugesprochen.